Natürliche Regeneration bei Implantaten

Weichgewebserhalt bei verzögerter Sofortimplantation mit Zahnscheibe und PRF-Technik

Die moderne Implantologie ermöglicht es uns heute, Gewebe erhaltend, schonend und vorhersagbar zu arbeiten. Die Sofort – oder verzögerte Sofortimplantation hat sich damit zur ersten Therapiewahl in unserer Praxis entwickelt. Besonders spannend gestalten sich die Möglichkeiten, mit Wachstumsfaktoren (PRF) und Zahnscheiben zu arbeiten. Die Wachstumsfaktoren optimieren auf natürliche Weise die Regeneration der knöchernen Alveole und des Weichgewebes. Die Zahnscheibe bietet einen idealen Abschluss beziehungsweise Verschluss der Alveole, ohne dass das Weichgewebe, die Mukogingivalgrenze verschoben werden muß. Anatomischer kann ein Emergenzprofil nicht vorbereitet sein, denn das auf der Zahnscheibe vorhandene Attachment stabilisiert und unterstützt das Weichgewebe. In wie weit die hier beschriebene Methode standardisiert zur Anwendung kommen sollte, muss weiter untersucht werden.

Indizes: Emergenzprofil, PRF-Methode, Prototypenkrone, Regeneration, verzögerte Sofortimplantation, Weichgewebserhalt, Zahnscheibe

Worin lagen die Herausforderungen bei der überwiesenen Patientin?

Dr. Peter Randelzhofer: Die Herausforderung bestand darin, die gegebenen Verhältnisse mit Zahn in die Situation ohne Zahn aber mit Implantat zu kopieren – bei einer jungen anspruchsvollen Patientin mit hohen ästhetischen Erwartungen. Jede ästhetische Einschränkung hätte zu einer unzufriedenen Patientin geführt. Während der Behandlung trat das Problem auf, daß sich ein relativ großes Stück Knochen, welches mit dem Zahn verwachsen war, bei der Extraktion verloren ging.

Welche Lösung konnten Sie ihr bieten?

Ziel war eine möglichst schonende, unter Einbeziehung der Biologie durchgeführte Implantattherapie. Das Implantat wurde verzögert/sofort in eine komplett ausgeheilte vorherige Alveole inseriert, ohne dabei zusätzlich augmentieren zu müssen. Der krestale Bereich konnte mit einer zirka 3 mm dicken, aus der Zahnwurzel entnommenen Zahnscheibe, stabilisiert werden. Die Prothetik wurde dann Schritt für Schritt via Langzeitprovisorium ausgeformt, stabilisiert und später übertragen. Damit konnten wir das Endergebnis wie geplant und vorausgesagt erzielen.

Die 40-jährige Patientin wurde von ihrem Hauszahnarzt an unserer Praxis überwiesen. Sie wünschte sich eine Therapie für Zahn 11, der nicht erhaltungswürdig war. Die schlechte Prognose des Schneidezahns ergab sich aus dem Zustand nach einem Frontzahntrauma vor mehr als 25 Jahren. Der Zahn war endodontisch behandelt und mit einer Kompostfüllung versorgt worden. Distal im Sulkusbereich ließ sich ein 2 bis 3 mm großer Defekt der Zahnhartsubstanz sondieren und im Papillenbereich wurde ein kleiner Fistelgang ersichtlich (Abb. 1 und 2).

Der Röntgenbefund bestätigte die Vermutung, dass eine externe Resorption vorlag. Somit war die Entscheidung für eine baldige Extraktion schnell getroffen. Im Gespräch mit der Patientin wurden der Lösungsansatz einer Brücke und eines später durchgeführten Implantats mit all seinen Vor- und Nachteilen gegenübergestellt. Ziel war es, eine gesunde und funktionierende Situation ohne ästhetische Einbußen zu schaffen. Als riskant wurde die Zahnfleischsituation um die Suprastruktur bewertet. Darüber klärten wir die Patientin auf, denn bei Zahnverlust ist immer mit Resorptionen zu rechnen und sind Implantate gesetzt, kämpfen wir oftmals gegen einem Volumenmangel von Hart und Weichgewebe an. Deshalb achten wir darauf, Techniken einzusetzen, die bestehende Gewebe erhalten und unterstützen. Letztendlich ist es immer einfacher, Hart – und Weichgewebsstrukturen zu schonen als diese komplex aufzubauen.

Es war der ausdrückliche Wunsch der Patientin, keine künstlichen oder tierischen Ersatzmaterialien anzuwenden. Eigentlich sollte das ohne weiteres möglich sein, aber wir hatten die Vorgabe, die Behandlung so minimalinvasiv und schonend wie möglich durchzuführen.

Das Behandlungskonzept wurde auf folgende Punkte festgelegt:

  1. Optimierung der knöchernen Ausheilung der Alveole nach schonender Extraktion
  2. Implantatinsertion mit Augmentation von Hart und Weichgewebe
  3. Freilegung
  4. Langzeitprovisorische Krone – verschraubt
  5. Definitive prothetische Krone – verschraubt oder zementiert

Nach entsprechender Planung wurde mit der Behandlung begonnen.

Schritt I: Extraktion und Versorgung der Alveole

Die Extraktion des Zahns nach dem Abtrennen der klinischen Krone erfolgte unter Verwendung des Benexextraktors (Zepf). Leider löste sich im palatinalen Anteil der Alveolenwand ein mit dem Zahn fest verbundenes Stück Knochen (Abb. 3 bis 6). Nachdem die Alveole vollständig ausgeschabt worden war wurden fünf komprimierte PRF-Klots nach dem Zentrifugieren des patienteneigenen Bluts in die Extraktionswunde kondensiert (Abb. 7). Aus der in Kochsalzlösung gelagerten Wurzel wurde eine 3mm dicke Scheibe mit noch vorhandenem Attachment als Abschlussdeckel auf die Extraktionswunde positioniert (Abb. 8). Die Zahnscheibe saugte sich praktisch am Weichgewebe fest und musste nicht mit Nähten fixiert werden. Nähte komprimieren das empfindliche krestale Gewebe und beeinflussen die Blutversorgung negativ. Die Scheibe jedoch behindert die Blutversorgung nicht, fördert damit die Heilung und unterstützt den optimalen Gewebeerhalt. Die Wachstumsfaktoren sollten ihr Übriges tun, um eine Knochenheilung beziehungsweise Regeneration zu begünstigen. Als Provisorium diente eine einfache Klammerprothese, abgestützt über den letzten Zahn in der Reihe.

Schritt II: Implantation

Nach einer Wartezeit von drei Monaten wurde das Implantat gesetzt. Die Architektur des Kieferkamms konnte gut erhalten werden. Die Zahnscheibe mit ihrem natürlichen Faserapparat hatte das Weichgewebe krestal gut stabilisiert. Das Entfernen unseres natürlichen Deckels gestaltete sich jedenfalls sehr schwierig aufgrund der extrem guten Integration in die Gingiva. Es zeigte sich eine schöne Knochenregeneration und die ganze Alveole stellte sich knöchern dar. Wir entschieden uns für ein NobelActive-Implantat mit dem Durchmesser 4,3 mm, denn dieses konnte ohne Lappen, praktisch „flapless“ inseriert werden. Während der ganzen Prozedur wurde der Bohrstollen kontrolliert und sondiert. Das vor der Insertion mit UV-Licht oberflächenaktivierte (Ushio Photofunktionalisierung) Implantat saß mittig im Knochen. Es zeigten sich keinerlei Defekte. Aus der ansonsten so aufwendigen Frontzahnimplantation mit umfangreicher Augmentationstechnik wurde in diesem Fall ein sehr einfaches und vorhersagbares Prozedere (Abb. 9 bis 11). Die Primärstabilität wurde auf 35 Ncm eingestellt. Es ist uns hierbei besonders wichtig, dass der Knochen im Schulterbereich des Implantats ohne Kompression anliegt. Kompression bedeutet auch in diesem Bereich eine verminderte Blutversorgung und Gewebeverlust, sprich Knochenabbau an der Implantatoberfläche. Die nach der Implantation wieder eingesetzte Zahnscheibe (in Kochsalzgelagert) schloss das OP-Gebiet so gut ab, dass wir auf Nähte verzichten konnten. Dieser Aspekt erfreute uns besonders, da wir auf eine optimale Ernährung des Weich- und Hartgewebes im OP-Bereich hoffen konnten (Abb. 12 bis 14). Die Patientin hatte keinerlei Beschwerden postoperativ. Weder Schwellung noch Schmerzen wurden von ihr als unangenehm empfunden.

Schritt III: Einheilzeit und Freilegung

Die Einheilzeit wurde aufgrund der schnellen und guten Osseointegration auf zwei Monate reduziert. Die Freilegung bestand praktisch nur aus dem Entfernen der Zahnscheibe (Abb 15). Das periimplantäre Weichgewebe zeigte sich in sehr gutem Zustand und volumenstabil, somit musste kein weiteres Weichgewebe aufgebaut werden (Abb. 16). Es wäre sicherlich vorteilhaft gewesen, das Implantat bereits bei der Insertion zu registrieren, dann hätte das Langzeitprovisorium direkt eingebracht werden können. Stattdessen setzten wir nach erfolgter Abformung mit der offenen Löffeltechnik wieder die Zahnscheibe ein (Abb. 17 und 18).

Der Einsetztermin der einteiligen verschraubten Prototypenkrone, erfolgte zwei Wochen nach der Abformung. Zahntechnikermeister Uwe Gehringer (Made by Gehringer, München) fertigte in Zusammenarbeit mit der Patientin das Provisorium an. Dazu wurde das Emergenzprofil auf dem Gipsmodell manipuliert. Vorgabe war der ehemals natürliche Zahn, die Kopie von Zahn 21 beziehungsweise die alte Situation. Eine Radierung erfolgte 1,5 mm tief, senkrecht zur Zahnachse im Sulkusbereich. Danach wurde die Kante gebrochen, damit sich das Ermergenzprofil im oberen Bereich schön auf Zahnform ausbreitet. Kurz darauf wurde die verschraubte Krone nach dem Spülen des Implantats mit CHX-Gel und 30 Ncm eingesetzt.

Das Zahnfleisch legte sich von Anfang an schön um das Langzeitprovisorium an und zeigte direkt ein akzeptables Ergebnis. Der Kieferkamm konnte in allen drei Dimensionen gut erhalten werden. Nach einigen Tagen stellten sich die Papillen noch besser ein. Bukkal vertrug das Weichgewebe noch etwas mehr Druck, deshalb haben wir es im subgingivalen Bereich weiter „aufgedeckt“. Dazu rauten wir das Provisorium an und vergrößerten das Volumen mittels einer Schicht Flow Komposit. Das Zahnfleisch reagierte sofort und wurde in eine natürliche Form, in ein zahnähnliches Emergenzprofil manipuliert (Abb. 19 bis 22).

Schritt IV: Definitive Versorgung

Die definitive Keramikkrone kann vier Monate später auf Grundlage der Prototypenkrone umgesetzt werden. Um vorhersagbar zu sein, haben wir das erarbeitete Emergenzprofil schon vorsorglich auf den Abformpfosten übertragen. Das Röntgenkontrollbild zeigt sowohl im DVT wie auch im Zahnfilm eine sehr gute Osseointegration, die sich im Erhalt des Weichgewebes widerspiegelt. Gerade im approximalen Bereich befindet sich der vertikale Knochen fast direkt an der Restauration (Abb. 22 und 32).

Fazit

Der Fall zeigt wie wichtig es ist, das Gewebe und vor allem dessen Ernährung über die lokalen Blutgefäße zu respektieren. Die Natur gibt uns in manchen Fällen alles was wir benötigen, um kompromisslose Ergebnisse zu generieren. Die PRF-Methode ist ein fester Bestandteil unserer zahnchirurgischen Tätigkeit. Besonders interessant fanden wir die Reaktion des Gewebes auf die Anwendung der Zahnscheibe. Einen besseren Verschluss und eine bessere Stabilisierung der Weichgewebe könnten wir uns nicht vorstellen.

  1. Ausgangssituation mit nicht erhaltungswürdigem Zahn 11 und Fistel an der distalen Papille in regio 11 aufgrund einer vorliegenden externen Resorption
  2. Schonende Extraktion mit Benex Extraktor
  3. Zahnwurzel 11 mit teilweise ankylotischem Knochenrest
  4. Externe Resorption mit Granulationsgewebe
  5. Mittels Trennscheibe abgetrennte Zahnscheibe
  6. Röntgenbild mit externer Resorption an der distalen Wurzelhälfte
  7. Zahnscheibenabschluß der mit PRF-gefüllten Alveole mit Haltenähten und Heilungsverlauf acht Wochen nach Extraktion
  8. Entfernung der gut integrierten Zahnscheibe zehn Wochen nach der Extraktion und vor der Implantation
  9. Die Implantation erfolgte flapless und ohne Augmentation in der vollständig verknöcherten Alveole …
  10. … unter Repetition der Zahnscheibe als Verschluss ohne Naht
  11. Die ausgeheilte Situation zeigte sich mit gut stabilisiertem Weichgewebe zwölf Wochen nach der Implantation
  12. Röntgenkontrolle nach Implantation und Zahnscheibenverschluss
  13. Die 3D-Röntgenkontrolle zeigt die optimal erhaltene bukkale Knochenlamelle (gelbe Pfeile) – Socketpreservation in seiner besten Form
  14. Das Implantat wird freigelegt, …
  15. … der Gingivaformer eingebracht …
  16. … und die ausgedünnte Zahnscheibe wieder eingesetzt
  17. Die Implantatposition wird abgeformt …
  18. … und die optimal integrierte Zahnscheibe vor der prothetischen Phase wieder eingesetzt
  19. Die Prototypenkrone in situ …
  20. … während der Gingivaanpassung
  21. Bukkal benötigte die Gingiva noch mehr Druck zur Modellation, dazu wurde die Krone mit einer Schicht Flow-Komposit aufgebaut
  22. Definitiv ausgeformtes Emergenzprofil
  23. Röntgenkontrolle mit Langzeitprovisorium (LZP) auffallend ist der unglaublich gut erhaltene vertikale Knochen um das Implantat und sogar um das Abuttment beziehungsweise die Krone
  24. Herstellung und Anwendung eines individualisierten Gingivaformers, um den ausgeformten Anteil zu übertragen
  25. Situation immer noch in der LZP-Phase vier Monate nach dem Einsetzen der Prototypkrone mit gut stabilisierten und positionierten Gingivaverlauf. Damit ist die Gingiva ideal zur späteren Aufnahme der definitiven Struktur vorbereitet.
  26. Die saggitale Ansicht der intakten bukkalen Knochenlamelle lässt auf ein langzeitstabiles Ergebnis und einen ästhetischen Gingivaverlauf auch bei der definitiven Versorgung hoffen

Produktliste

Produkt Produktname Firma
DVT Orthophos 3D XG Dentsply Sirona
Extraktor Benex Zepf Dental
Flow Komposit Tetric flow Ivoclar Vivadent
Implantat NobelActive Nobel Biocare
Photofunktonalisierung Implantat TheraBeam SuperOsseo Ushio
Prototypenkrone SE Nexco Paste Ivoclar Vivadent
Zentrifuge A-PRF Duo Zentrifuge Mectron
Moderne implantatprothetische Lösungen. Einfach wie komplex, vielleicht traditionell – aber vor allem erfolgreich.

Mai 2016

Dr. Peter Randelzhofer
Dr. Claudio Cacaci